1873 - 1919 Flensburger Actien-Brauerei-Gesellschaft (Text: Stephan Wiese)
Wir schreiben das Jahr 1873. Das deutsche Kaiserreich mit Kaiser Wilhelm I. und Fürst Otto von Bismarck als Reichskanzler
ist nach dem Sieg über Frankreich gerade mal 2 Jahre alt. Der 4-Takt Motor und das Telefon werden erst in
3 Jahren erfunden, das Zeitalter der Industrialisierung ist noch sehr jung.
Flensburg, seit Anfang 1867 eine preußische Stadt und mit 25.000 Einwohnern so groß wie Husum heute, hat seit 1868 und
für die folgenden 30 Jahre Wilhelm Toosbüy als Bürgermeister.
In Flensburg gibt es zu dieser Zeit noch 20 kleingewerbliche Hausbrauereien, vornehmlich von Hausfrauen betrieben. 1890
werden es, nicht zuletzt wegen der großen Konkurrenz der beiden Großbrauereien nur noch 3 sein, die wenige Jahre später
schließlich auch verschwanden.
In Flensburg entstanden in den letzten Jahren neue, große Betriebe, nachdem die alte Tabak-, Mühlen-, sowie Zuckerindustrie
und der Segelschiffbau langsam an Bedeutung verloren. So etwa 1865 die Maschinenfabrik Anthon & Söhne und 1872 die
Flensburger Schiffswerft. Kurz zuvor, genau 1869 wurde die sogenannte ´69er Flensburger Dampfschiffahrtsgesellschaft
gegründet. Eben jene Gründer der beiden letztgenannten Firmen haben Anfang 1873 einen weitreichenden Gedanken:
Sie gründen die erste Flensburger Großbrauerei unter dem Namen
Flensburger Actien-Brauerei-Gesellschaft
Genau hier beginnt die 125-jährige Geschichte der Flensburger
Großbrauereien. Ab 1990 wird sich ein Sammlerclub sehr intensiv für
die alten Bierflaschen u.a. von dieser Brauerei und noch vielem mehr
interessieren und leidenschaftlich zu Sammeln beginnen.
Am 07. Januar 1873 erscheint in den Flensburger Nachrichten der
Gründungsprospekt der Actienbrauerei*. Er hebt besonders die vielen
Vorteile, wie die günstige Örtlichkeit gleich neben der Schiffswerft, der
hohe zu erwartende Reingewinn von bis zu 20% und das gute Wasser
hervor und bemerkt selbstbewußt:
"Es bedarf kaum der Erwähnung, dass gerade Flensburg für dies
Unternehmen besonders geeignet ist".
Das "Gründungscomité" besteht aus den Herren Bucka, Christiansen,
Diedrichsen, Jürgensen und Mörck. Das Grundkapital wird auf 150.000 Thaler
in 1.500
Actien zu je 100 Thalern festgelegt, diese sind bereits
nach 3 Wochen überzeichnet.
Anzeige vom 04.11.1911 zur 37. Generalversammlung
Am 17.01.1873 kommt es zu der ersten Generalversammlung der "Actionaire" im Saale der Harmonie in Flensburg und bereits
nach 2 Monaten werden 1.500 Actien je 100 Thaler nachgelegt. Noch im Gründungsjahr wird mit dem Bau der Brauerei
begonnen.
Bereits 1 ½ Jahre nach Gründung wird das erste Bier gebraut und im März 1875 kommt das erste "Lagerbier" zum Verkauf in
Gebinden* von 15, 25, 50 und 100 Litern, per HL (=100 Liter) zu 24 Mark. Zeitgleich wird das Bier in der Tageszeitung beinahe
seitenweise zum Verkauf angeboten, so als hätte man schon sehnlichst darauf gewartet. Somit bekommen die Biere, welche
bis dato nach Flensburg importiert werden, erstmals eine ernst zunehmende Konkurrenz.
Die ersten Flaschenbiere der Actienbrauerei kommen im
Mai 1875 für 1,40 Mark per Dutzend zum Verkauf, auf
Wunsch sogar in weißen Flaschen. Dabei handelt es sich
noch um schlichte, vielleicht papieretikettierte
Korkenflaschen, die bis heute nicht mehr erhalten sind,
sehr zum Leid der Sammler über 100 Jahre später.
Bezogen wird das Bier dieser Tage direkt über die Brauerei
und am Flaschenwagen vom Bierkutscher C. N. Klein, der
regelmäßig die Haupt- und Nebenstraßen im Bereich
Neustadt, Hafermarkt, Schiffbrücke, St. Jürgen, Solie*,
Duburg, sowie friesischer Berg mit seinem Pferd und
Wagen abfährt. Diese nostalgische Vorstellung erzeugt
sicher bei dem einen oder anderen eine Spur von Wehmut,
nur wenige Mitmenschen kennen diese Zeit noch aus ihrer
eigenen Kindheit.
Anfangs bezieht die Brauerei ihre Flaschen von der
Glasfabrik Rönneberg in der Apenrader Straße, welche
jedoch wegen der verschiedenen Flaschenqualitäten in
Form und Größe schon bald in die Kritik kommt. Die
Brauerei ist nun auf einen jährlichen Bierausstoß von 40.000 Hektolitern ausgelegt und kann so 80-100 Mitarbeiter
beschäftigen.
Wenn auch Anfangs das Hauptabsatzgebiet noch in Flensburg und ihrer Umgebung liegt, so hat doch das eiserne Segelschiff
"Doris Brodersen" 1875/76 auf seiner Jungfernfahrt nach Rangoon (Birma) auch Flaschen- und Faßbier der Actienbrauerei an
Bord, um die Haltbarkeit in tropischen Ländern zu prüfen. Kurz darauf folgen die angrenzenden europäischen Länder und
schon bald auch sogar der Export nach Übersee, so nach Asien, Südamerika und Südafrika. Das hat ihr in diesem Maße keine
weitere Flensburger Brauerei nachmachen können. Erst seit 1998 für kurze Zeit exportierte die Flensburger Brauerei in die
U.S.A. mit ihrem werbewirksam benannten "Flens"*.
Schon vom ersten Tage an hat die Actienbrauerei auch
heimische Konkurrenz, und zwar die Schloßbrauerei, auch
als Duburg-Brauerei bekannt. Jedoch mußte auch sie sich
als eher kleinere Brauerei kurz nach der
Jahrhundertwende dem Druck der Großen beugen und
den Betrieb schließlich einstellen.
Im April 1877 wird der Neubau der Lagerbier-Erweiterung
ausgeschrieben, ein Indiz dafür, daß der Absatz den
Vorstellungen voll entspricht. Darüber hinaus liegt die
Ausschüttung der Dividenden an die Aktionäre schon bei 7,5 % jährlich und nimmt stetig zu.
Das "Actienbier" erfreut sich zunehmend einer großen Beliebtheit in weiteren Teilen Schleswig-
Holsteins, nicht zuletzt deswegen, weil sie 1878 die Staatsmedaille auf der Schleswig-
holsteinischen Industrieausstellung erringt. Es folgen die ersten Preise auf den
Weltausstellungen 1879 in Sydney und 1880 in Melbourne als einziges Bier in Deutschland und
schließlich 1881 die goldene Medaille in Adelaire.
Am 01. Mai 1880 läßt die Actienbrauerei verkünden, daß sie fortan nur noch
braune Flaschen mit dem runden Firmenstempel "FABG" in den Umlauf bringen
wird. Diese Flasche geht später unter dem Namen "Siegelflasche"* als älteste
bekannte Actienbrauereiflasche in die Sammlergeschichte ein. Unbekannt bleibt
jedoch, wie lange sie genau im Verkehr war. Wir vermuten, daß sie um 1884
von der "Sternflasche"* abgelöst wurde. Die Früchte u.a. ihres neuen
Erscheinungsbildes schlagen sich von nun an auch in den jährlichen Anschlußbilanzen nieder. Sie belegen
deutlich, daß ab 1880 der Reingewinn und die Gewinnausschüttungen deutlich steigen von nun noch 10% auf
bis zu 20% im Jahre 1885.
1881 zeigen zudem Quellen, daß die Brauerei 400.000 grüne und 50.000 weiße Flaschen aus Dresden
bezieht. Über Art und Etikettierung dieser Flaschen gibt es ebenso keine Hinweise.
Im gleichen Jahr hat die Brauerei, sicher bedingt durch immer steigenden Absatz, mit Wassermangel zu
kämpfen, was sie schließlich dazu zwingt, auch aus den städtischen Leitungen Wasser zu beziehen.
Ein sehr großer Aufwand stellt in dieser Zeit die Kühlung des guten Gerstensaftes dar. Um im Sommer das Bier
kühlen zu können, müssen jeden Winter die Eislager mit Natureis gefüllt werden, aufwendig gewonnen aus den
umliegenden Teichen.
In einigen frostarmen Wintern wird jedes Quantum Eis gegen Bar angekauft und später sogar große Mengen
Eis aus Norwegen eingeschifft.
So kam sicherlich die im Jahre 1882 angeschaffte neuzeitliche Eismaschine gerade recht, die immerhin 10 Zentner (500 kg)
Eis pro Stunde herstellen konnte. Dank des guten Geschäftsjahres folgten schließlich eine neue Dampfmaschine, sowie eine
Flaschenspülmaschine und noch einiges mehr.
1884 sinkt der Bierpreis je Dutzend auf 1,30 Mark, vermutlich durch anhaltende Konkurrenz aus Sonderburg, Kiel, Hamburg
und Bayern.
Schon zu dieser Zeit wird ein Flaschenpfand erhoben, denn die Rohstoffe sind wertvoll und werden so auf diesem Wege auch
der Nachwelt erhalten. Der Flaschenpfand sinkt um 5 auf 10 Pfennig und ist bei Umrechnung 1:10 heute mit ca. 50 Cent
trotzdem noch relativ hoch.
Im Januar 1886 wird vermutlich als Reaktion des anhaltenden Importes von Bier Münchener* Brauart erstmalig das
Biersortiment um ein "Salvator-Bier"* erweitert. Im gleichen Jahr werden die Niederlagen* der umliegenden Kirchspiele an die
Herren Böttcher aus Sörup und Reitzig aus Süderbrarup vergeben.
1887 steigt, nicht zuletzt Dank der Branntweinsteuererhöhung, der Bierkonsum spürbar. In diesem Jahr hat die Actienbrauerei
mit 392.025 Mark ihren zweithöchsten Jahresumsatz (das beste Geschäftsjahr war 1885).
Von 1888 an jedoch, einem weiteren historischen Jahr in dieser Geschichte, geht es bergab für die Actienbrauerei.
Ein Jahr nach Erfindung des Grammophons, sowie zwei Jahre nach Vorstellung des ersten Benzinautos entsteht in Paris
gerade der Eiffelturm zur Weltausstellung. Es ist zudem das Todesjahr Kaisers Wilhelm I. Dem guten Geschäft der
Actienbrauerei wollen nunmehr die Herren Anthon, Eitzen, Hansen, Jordt und Schmidt nicht länger tatenlos zusehen. Sie
beschließen am 06.09.1888 die Gründung einer zweiten Flensburger Großbrauerei unter dem Namen:
Flensburger Export-Brauerei
Bild der Schoßbrauerei um 1909
Club der Flensburger Brauereien Raritätensammler e.V.